Prof. Dr. Manfred Hoffmann
Fütterungsberater beim Sächsischen Landeskontrollverband e. V.
Teil II: Bedarf und Bedarfsdeckung
Da das ß-Carotin sowohl als Provitamin A als auch als Antioxidans im Stoffwechsel zur Verfügung stehen muss und seine Wirksamkeit vielen Einflüssen ausgesetzt ist, wird verständlich, dass im Gegensatz zum Vitamin A die Bedarfsangaben für ß-Carotin praktisch nicht zu quantifizieren sind. In amerikanischen Arbeiten wird eine Angabe des Bedarfes z. Zt. abgelehnt: “Presently available data are not adequate to define a specific requirement for ß-carotene for any class of dairy cattle.” (NRC 2001, S.164, https://www.nap.edu/catalog/dairymodel/ ).
Besonders die Wirksamkeit des ß-Carotins im antioxidativen System erfordert erhebliche Kapazitäten, deren quantitative Anforderungen derzeitig auch nicht annähernd einzuschätzen sind. In jedem Fall wird bei hohen Milchleistungen ein nur auf die Fruchtbarkeit bezogener Bedarf nicht ausreichen, weder im Hinblick auf die Menge als auch auf den Fütterungszeitraum.
Die Schwierigkeiten und weiten Grenzen, in denen Bedarf und Bedarfsdeckung sich bewegen, haben zu Bemühungen geführt, den Versorgungsgrad entsprechend der „Antwort“ des Tieres einzuschätzen. Dazu hat jahrelang eine „Farbscala“ gedient, mit dessen Hilfe aus der Färbung des Blutplasmas auf die Versorgung geschlossen wurde. Diese Methode hat zwar Anhaltswerte gebracht, war aber mit erheblichen Fehlern behaftet, da die Färbung von Carotin begleitenden Carotinoiden, die alle im Farbbereich gelb bis rot liegen, das Ergebnis beeinflussen. Um den Versorgungsgrad objektiv einzuschätzen, ist z.Zt. einzig die Blutuntersuchung geeignet.
Eine praktisch relevante Methode ist die Messung mit dem „iCheck®“ von Schweigert (2005). Das Verfahren ist anwendbar für Vollblut, Serum und Milch (Kolostrum) von Rindern und Pferden.
Blutuntersuchungen müssen an klinisch gesunden Tieren vorgenommen werden, um Rückschlüsse für die gesamte Herde ziehen zu können. Ferner sollte bei der Blutuntersuchung beachtet werden, dass im Zeitraum 6 Wochen vor und 6 Wochen nach der Abkalbung aufgrund des hohen Verbrauches immer niedrigere Werte vorliegen. Dies muss bei der Interpretation beachtet werden.
Die Angaben zu Grenzwerten für die Einschätzung des Versorgungsgrades mit ß-Carotin schwanken bei den verschiedenen Autoren in gewissen Grenzen. Umfangreiche Untersuchungen zur ß-Carotinversorgung hat Staufenbiel (2005 ,2016) durchgeführt. Der angenommene Grenzwert von 2000 μg/l Serum ist als Mindestgehalt in Poolproben gültig, für Einzeltiere werden > 4000 μg ß-Carotin/l gefordert. Die praktischen Erfahrungen zeigen, dass es bestimmte Bedingungen gibt, in denen in der Regel bei Milchkühen eine Ergänzung der Ration mit ß-Carotin notwendig ist:
Die ß-Carotinversorgung der Rinder wird vorrangig durch Grünfutterpflanzen und deren Konservate gewährleistet. Außer in Möhren finden sich in Konzentraten keine praktisch bedeutungsvollen Mengen an ß-Carotin.
Einen groben Überblick zum ß-Carotingehalt wichtiger Futtermittelgruppen zeigt die Tabelle 1. Die tatsächlichen Werte können erheblich von den angegebenen Mittelwerten abweichen.
Tab. 1: ß-Carotingehalt ausgewählter Futtermittel (mg/kg TS)
Grünfuttermittel | 100-300 |
---|---|
Grünmais | 15-80 |
Silagen | |
Klee, Luzerne | 20-120 |
Gras, Futterroggen | 20-120 |
Getreideganzpflanzen | 5-25 |
Mais (Teigreife) | 5-20 |
Trockengrünfutter (je Monat -10 bis -15% des Gehaltes) | |
Klee, Luzerne | 150-300 |
Gras | 100-200 |
Heu (je Monat -10 bis -15% des Gehaltes) | |
Klee, Luzerne | 25-100 |
Gras | 5-30 |
Der ß-Carotingehalt ist in Grünfutterpflanzen immer positiv mit dem Chlorophyllgehalt korreliert. Der ß-Carotin - Gehalt in Grünfutterpflanzen ist wesentlich vom Vegetationsstadium (Tab. 2) und von der Höhe der Stickstoffdüngung abhängig.
Tab. 2: Einfluss des Vegetationsstadiums auf den ß-Carotingehalt
Vegetationsstadium | Futterroggen | Gras | Klee | Luzerne | Silomais |
---|---|---|---|---|---|
I | 280 | 287 18% Rfa | 342 | 368 | 156 |
II | 222 | 228 | 285 25% in Blüte | 321 25% in Blüte | 51 Milchreife |
III | 160 Ähren Schieben | 169 28% Rfa | 220 | 256 | 35 |
IV | 121 | 110 | 165 | 180 | 12 Teigreife |
Die Tabelle 3 zeigt, dass der ß-Carotingehalt ebenso wie der Zuckergehalt in starkem Maß von der Feldliegezeit beim Anwelken beeinflusst werden. Die Auswirkungen verschärfen sich noch, wenn ungünstige Witterungsverhältnisse, z. B. Niederschläge während der Grasernte herrschen (Steinhöfel, 2009, https://www.cabdirect.org/cabdirect/abstract/20143176645). Die Forderung nach kurzen Feldliegezeiten von möglichst weniger als 12 Stunden ist auch aus Sicht des Carotingehaltes zu begründen.
Tab. 3: Einfluss der Feldliegezeit beim Anwelken von Ackergras auf den ß-Carotingehalt
Feldliegezeit | Zucker | ß-Carotin |
---|---|---|
h/d | g/kg TS | mg/kg TS |
0 | 161 | 224 |
12 | 1228 | 156 |
24 | 102 | 86 |
36 | 81 | 52 |
48 | 50 | 44 |
3-4 | 36 | 8 |
4-5 | 8 | 10 |
>5 | 4 | 6 |
Bei ganzjähriger Silagefütterung ist die Frage relevant, wie sich das Carotin in konservierten Futtermitteln in Abhängigkeit von der Lagerungsdauer verhält. Ältere Untersuchungen zeigen, dass sich die Verluste an ß-Carotin auf die ersten 2- 3 Wochen nach der Einsilierung konzentrieren, danach aber der Gehalt relativ konstant bleibt (Tab.4). Die Praxis bestätigt, dass Grünfuttersilagen, deren Ausgangsmaterial im optimalen Vegetationsstadium geerntet und nach kurzer Feldliegezeit siliert wurde für einen langen Zeitraum eine wichtige ß-Carotinquelle für Milchkühe sein können.
Tab. 4: Carotingehalt (mg / kg TS) in Silagen in Abhängigkeit von der Lagerungsdauer (Lagerungsversuche, je Variante 4 Wdhl., PVC-Beutel mit je 25 kg Frischmasse)
Lagerungsdauer in Tagen | Futterroggen | Weidelgras | Rotkleegras |
---|---|---|---|
Ausgangsmaterial | 183 | 223 | 246 |
8 | 135 | 159 | 96 |
16 | 130 | 152 | 97 |
32 | 126 | 148 | 96 |
64 | 126 | 146 | 82 |
128 | 128 | 148 | 85 |
256 | 125 | 151 | 83 |
Leider fehlen vergleichbare, korrekte und systematische Untersuchungen zum Einfluss von Siliermitteln, zur Nacherwärmung und zu verschiedenen Entnahmebedingungen von Silagen auf den ß-Carotingehalt.
Anders als bei Silagen ist der Einfluss der Lagerungsdauer von getrockneten Grünfuttermitteln zu beurteilen (Tab.5).
Tab. 5: Einfluss der Lagerungsdauer auf den ß - Carotingehalt (mg/kg TS) in Luzernetrockengrünfutter und Wiesenheu (Hoffmann u. Nehring, 1961)
Monat nach Einlagerung | Luzernetrockengrünfutter ¹ | Wiesenheu ² | |
---|---|---|---|
ohne Zusatz | mit BHT ³ | ||
0 | 263 | 263 | 182 |
1 | 220 | 236 | 161 |
3 | 152 | 218 | 88 |
5 | 94 | 176 | 52 |
7 | 34 | 134 | 22 |
9 | 18 | 128 | 6 |
1 gemahlen (5mm), pelletiert, 2 gehäckselt, 3 Butylhydroxytoluol (Antioxidans)
Während der Gehalt beim Heu sehr von den Bedingungen der Heubereitung abhängt, ist es möglich, mit technischer Trocknung, z.B. der Heißlufttrocknung, aber vor allem mit moderner computergesteuerter Unterdachtrocknung mit Warmluft und Entfeuchter Trockengrünfutter mit einem hohem ß-Carotingehalt zu erzeugen. In allen Fällen ist jedoch der Abfall des ß-Carotingehaltes in Abhängigkeit von der Lagerungsdauer beträchtlich. Getrocknete Konservate leisten in Abhängigkeit vom Gehalt selten mehr als 6 Monate nach der Trocknung einen nennenswerten Beitrag zur ß-Carotinversorgung. Die Trocknung mit Konservierungsstoffen (Antioxidanzien) bringt deutliche Vorteile, hat aber häufig futtermittelrechtliche und finanzielle Grenzen. In älteren Untersuchungen wurde die ganze Kette des ß-Carotins vom Ausgangsmaterial in verschiedenen Vegetationsstadien über Gärfutter – Bilanzversuche bis zu Verdauungsversuchen (Hammel) verfolgt. Die Ergebnisse bei der Grassilage sind in Tabelle 6 zusammengefasst. Bei abfallendem ß-Carotingehalt mit fortschreitendem Vegetationsstadium nimmt der Gärverlust von 53 % beim frühen Stadium auf etwa 20 % beim letzten Vegetationsstadium ab. Dementsprechend wird der Gehalt in der Silage besonders beim frühen Schnitt stark vermindert. Die Bestimmung der scheinbaren Verdaulichkeit bei Hammeln (14 Tage Vor- und 10 Tage Hauptperiode) zeigte, dass erhebliche Mengen an -Carotin im Kot ausgeschieden werden. Die Verdaulichkeit nahm erwartungsgemäß mit fortschreitendem Vegetationsstadium ab, das Niveau lag aber in allen Stadien wesentlich niedriger als das der Organischen Substanz und des Rohproteins.
Tabelle 6: ß-Carotingehalt in Grassilagen (Hoffmann und Nehring, 1967)
Vegetationsstadium | 1. | 2. | 3. | |
---|---|---|---|---|
vor Ährenschieben | Ährenschieben | Rispenschieben | ||
ß-Carotingehalt Grünfutter | mg/kg TS | 222 | 128 | 90 |
Carotinverlust durch Silierung | % | 53,1 | 33,7 | 19,5 |
ß-Carotingehalt Silage | mg/kg TS | 122 | 94 | 72 |
sVerdaulichkeit ß-Carotin | % | 57,6 | 34,0 | 21,9 |
sVerdaulichkeit OS | % | 70 | 59 | 48 |
sVerdaulichkeit Rohprotein | % | 79 | 70 | 58 |
verdauliches ß-Carotin | mg/kg TS | 70 | 32 | 16 |
Alle in diesem Rahmen durchgeführten Verdauungsversuche brachten die in Tabelle 7 angegebenen Ergebnisse. Unter Berücksichtigung der Verdaulichkeit stehen im Mittel 30 % der aufgenommenen Menge für die Resorption zur Verfügung, wobei in Abhängigkeit vom Ausgangsmaterial und Konservierungsverfahren die Schwankungen von 5 – 60 % betragen können. Das deckt sich mit den Angaben aus der Literatur (NRC 2001).
Tab 7: Verdaulichkeit des ß-Carotins in Grobfuttermitteln bei Schafen
Verdaulichkeit % | |||
---|---|---|---|
N | im Mittel | Schwankung | |
Silagen | 21 | 31,2 | 0,5-62,1 |
Trockengrünfutter | 8 | 26,2 | 15,2-32,8 |
Heu | 11 | 25,3 | 13,0-35,2 |
alle Futtermittel | 40 | 28,6 |
Aus den vorausgegangenen Ausführungen ergibt sich, dass es nicht möglich ist, eine bedarfsgerechte Versorgung durch eine Rationsberechnung zu kalkulieren. Die für die Praxis einzige sichere Alternative ist die Bestimmung des Gehaltes im Blutserum. Eine objektive Aussage zum Versorgungsgrad und damit zur Notwendigkeit einer Rationsergänzung mit Carotin ist umso wichtiger, da Entscheidungen zum Zukauf eines Carotinpräparates (Einsatzmenge, Zeitraum der Ergänzung) abzuleiten sind, die finanziellen Konsequenzen haben.
Zur Ergänzung des aus den nativen Grobfuttermitteln fehlenden ß-Carotins werden Carotinpräparate verwendet, die aus Sicht der Fütterung die untenstehend zusammengefassten Anforderungen erfüllen sollten. Es hat sich bewährt das Präparat als Komponente in hofeigenen Kraftfuttermischungen zu verabreichen. Kritisch wird gesehen, wenn ß-Carotin als Bestandteil von Mineralfutter ausgeliefert wird, da hier in rel. kurzer Zeit erhebliche Verluste durch Oxidation nachgewiesen werden können.
Anforderungen an ein ß-Carotinpräparat für Rinder aus Sicht der Fütterung
Für die ß-Carotinsupplementierung in Abhängigkeit vom Versorgungsstatus werden die in Tabelle 8 genannten Empfehlungen gegeben. Wird das Präparat mit 100 g/Tier und Tag verfüttert, weist es Gehalte von 10.000 bzw. 3.000 g ß-Carotin / kg auf.
Tab. 8: Empfehlungen zur ß-Carotin-Ergänzung bei Milchkühen
mg ß-Carotin je l Blutserum | Versorgungstatus | mg ß-Carotin-Ergänzung je Tier und Tag |
---|---|---|
< 1,5 | mangelhaft | 500-100 |
1,5-2,5 | kritisch | 300-500 |
2,5-3,5 | marginal | 300 |
> 3,5 | optimal | 0 |
Fazit
Für die Einschätzung des Versorgungsgrades mit ß- Carotin kommt nur die Blutuntersuchung (Serum) in Frage.
Die Hauptquelle für ß- Carotin bei den Rindern sind die Grünfutterpflanzen, deren Gehalt vom Vegetationsstadium, der Düngung und anderer agrotechnischer Maßnahmen abhängig ist. Bei Silagen treten Verluste in den ersten 3-4 Wochen nach der Silierung ein, die umso höher sind je früher das Vegetationsstadium des Ausgangsmaterials ist. Bei allen getrockneten Grünfuttermitteln nimmt der ß-Carotingehalt kontinuierlich ab. Mit modernen Trocknungsverfahren erzeugte technische Trockengrünfutter sind eine wichtige ß-Carotinquelle. Die scheinbare Verdaulichkeit des ß- Carotins liegt im Mittel bei 30 % (mit Schwankungen von 5 – 60 %).
Stand: Februar 2021