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Der Fütterungsberater

Ein Blog zu Futtermittelanalytik, Tiergesundheit, Fütterung und Diätetik.

Blogbeitrag
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Futtermittel & Laboranalytik

Ermutigung und Verehrung – zu den Arbeiten des Nobelpreisträgers A.I. Virtanen

Im Jahre 1945 erhielt A. I. Virtanen (1895 – 1973) den Nobelpreis für Chemie „für seine Untersuchungen und Entdeckungen auf dem Gebiet der Agrikultur- und Nahrungsmittelindustrie, insbesondere für seine Methode der Konservierung von Futtermitteln und Futterpflanzen“ (aus „Informationen der Nobelstiftung zur Preisverleihung 1945 an Artturi Ilmari Virtanen“, übersetzt aus dem englischen Text).

Damit ehren wir in A.I.Virtanen den bisher einzigen Nobelpreisträger, der mit seinen Arbeiten nicht nur die Gebiete der Pflanzen- und Lebensmittelchemie, sondern auch das Gebiet der Tierernährung und Futterkonservierung bedeutend beeinflusst hat.

Nach der Promotion 1919 auf dem Gebiet der Biochemie begann er sein Berufsleben in den Laboratorien des Zentralverbandes der finnischen Molkereigenossenschaft Valio. Bereits 1921 wurde er Direktor dieser Genossenschaft. 1931 erhielt er ein eigenes Labor und eine Berufung als Professor für Biochemie an die Universität Helsinki, die er bis zu seiner Emeritierung 1948 ausübte. Das Institut für Molekularwissenschaften in Helsinki trägt heute seinen Namen.

Sein Arbeitsgebiet ist breit angelegt. Er untersuchte Inhaltsstoffe der pflanzlichen Nahrungs- und Futtermittel, isolierte zahlreiche Substanzen (Ketocarbonsäuren, Aminosäuren, schwefelhaltige Verbindungen und antibakteriell wirkende Pflanzeninhaltsstoffe) und klärte deren Bedeutung im Stoffwechsel. Ein weiteres Gebiet war die Stickstoffaufnahme durch die Pflanze und die Synthese von Aminosäuren, Proteinen und Vitaminen in der Pflanze. Ab Mitte der 20ziger Jahre erschloss er ein breites Arbeitsfeld zur Untersuchung bakterieller Prozesse bei der Milchverarbeitung und Käseherstellung, er untersuchte intensiv die Biochemie der Milchsäure und die Bedeutung der Phosphorylierung bei der Milchsäuregärung und dehnte die Untersuchungen sogar auf Gärprozesse im Boden aus.

Schon diese, sicher nicht vollständige Aufzählung seiner Arbeitsgebiete zeigt, dass Virtanen es noch gelang, die ganze Kette Boden – Pflanze – Tier als Einheit zu bearbeiten. In Deutschland war der letzte Vertreter, der die Disziplinen Bodenkunde – Pflanzenernährung – Tierernährung als Agrikulturchemie zusammenhielt und lehrte Prof. Kurt Nehring (1898 – 1988) in Rostock, den ein enger Gedankenaustausch mit Virtanen verband.

Auf zwei Gebiete aus dem reichen Arbeitsfeld von Virtanen soll näher eingegangen werden:

  • die Konservierung von Grünfutter mit Säuren, weltweit bekannt als A.I.V. – Verfahren
  • Versuche zur Milchproduktion bei proteinfreier Ernährung der Kühe.

A.I.V. – Verfahren zur Grassilierung

Im Jahre 1943 publizierte Virtanen seine Ergebnisse zur Konservierung von Grünfutter mit anorganischen Säuren. Er konnte nachweisen, dass mit Salz-, Schwefel- oder Phosphorsäure konserviertes Futter (etwa 15 Säureäquivalente/dt) die Gärverluste minimierte und die wichtigsten Inhaltsstoffe weitgehend erhielt. Der pH-Wert wurde in der grünen Masse auf < 4,0 gesenkt, so dass die mikrobielle Aktivität zunächst ausgeschaltet ist. Durch die alkalische Wirkung des Zellsaftes und der darin enthaltenen Eiweißverbindungen und Mineralien wird die Säurewirkung allmählich abgestumpft und es beginnt eine Milchsäurebildung.

Besonders auffallend war, dass die Proteolyse minimiert wurde und das Reineiweiß der Grassilagen im Vergleich zum Ausgangsmaterial weitgehend erhalten blieb. So fand Wiegner in A.I.V. Silagen einen Eiweißabbau von 1,4 %, in der Variante ohne Zusatz 34,7 %. Außerdem wurden in der A.I.V-Silage weniger Amide gebildet, der NH3 – Gehalt war niedrig und der NPN-Anteil in der Silage betrug unter 50 % (normalerweise bis 60 %).

Da ein „Anwelken“ des Ernteguts in Finnland auf Grund der klimatischen Verhältnisse (Niederschläge, Sonnenscheindauer, Luftfeuchtigkeit) praktisch nicht möglich ist, wird das mit 18 – 24 % TS geschnittene Gras direkt mit den Säuren versetzt, die Verluste durch den austretenden Gärsaft betrugen < 10 %.

 Langzeitversuche mit Milchkühen zeigten die gute Verträglichkeit dieser Silagen.

Später ging man dazu über, organische Säuren zu verwenden. An erster Stelle ist die Ameisensäure zu nennen. Diese Säure eroberte in verschiedenen Formen weit über Finnland hinaus über viele Jahrzehnte die erste Stelle als Siliermittel.

Die Auslieferung der „A.I.V.-Säure“ (Ameisensäure) erfolgte in Plastekanistern durch den Verband der milchverarbeitenden Industrie. Dosiergeräte auf der Erntemaschine gewährleisteten eine sichere Dosierung. In Abhängigkeit von TS- und Rohproteingehalt gab es entsprechend differenzierte Dosiervorschriften.

Der Autor dieses Beitrages lernte das „AIV-Verfahren“, sowie die finnische Milchviehhaltung und das Molkereiwesen 1985 anlässlich eines längeren Studienaufenthaltes an der Landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Jokioinen kennen und wurde von Prof. Lampila betreut, der jahrelang bei Virtanen gearbeitet hatte.

Die Einführung des A.I.V-Verfahrens in die praktische Landwirtschaft erfolgte in kurzer Zeit und hatte gravierende Folgen:

  • Das Verfahren eignete sich für die Konservierung aller rohproteinreichen Futterpflanzen (Gras, Klee, Luzerne u.a.), ist witterungsunabhängig und bei sachgemäßer Siliertechnik ausgesprochen risikoarm.
  • In kurzer Zeit ging die unter nördlichen Klimaverhältnissen schwierige Heuproduktion völlig zurück und die Fütterung der Milchkühe erfolgte, in vielen Regionen ganzjährig, mit A.I.V – Silage als einzigem Grobfutter
  • Der Konservierungsverlauf gewährleistet einen hohen Milchsäuregehalt, wenig Essigsäure und buttersäurehaltige Silagen traten kaum noch auf.  
  • Die milchverarbeitende Industrie sprach für den einzelnen Betrieb die Anerkennung als „buttersäurefreier Betrieb“ aus und honorierte das mit der Abnahme der Milch zu guten Preisen.
  • Mit der Anwendung des A.I.V. - Verfahrens wurde auch die Legende außer Kraft gesetzt, dass nur mit Heu, aber nicht mit Silage, Hart- und Schnittkäse produziert werden kann.
  • Finnland wurde zu einem wichtigen Exportland für Käse Emmentaler Art, die Futtergrundlage war in allen milchviehhaltenden Betrieben A.I.V. – Grassilage
  • Der hohe Futterwert und die gute Proteinqualität der Grassilagen, ergänzt durch Gerstenschrot (und teilweise Trockenschnitzel) machte es möglich, mit einem Minimum an Eiweißfuttermitteln hohe Milchleistungen zu erreichen.

Zeitweise war, nunmehr schon vor über 60 Jahren, der Import von Sojaprodukten für die Rinderhaltung staatlicherseits verboten!

Milcherzeugung mit proteinfreien Rationen

Nachdem schon in früheren Jahren Zuntz und Hagemann (1891) für Amide und andere Forschungsgruppen in den Folgejahren für andere stickstoffhaltige Nichteiweißverbindungen (NPN) eine Verwertung durch den Wiederkäuer nachweisen konnten, berichtete Virtanen über Versuche mit Milchkühen, die gereinigte („synthetische“) Rationen bekamen (Biochem. Zeitschrift 1963, Vol.338, S. 443). Die Basis war Zellulosepulver, Stärke, Sucrose, pflanzliches Öl und eine Mineralstoff-Vitamin- Mischung. Die Wiederkauaktivität wurde durch Zellulosepellets gesichert, die mit Siliziumverbindungen imprägniert waren. Als einzige Stickstoffquelle erhielten die Kühe eine Mischung aus 94 % Harnstoff (um die Herkunft im Tierkörper nachzuweisen teilweise mit N15 markiert) und 6 % Ammoniumsalze. Es wurden im Mittel 11 - 12 kg Trockensubstanz je Tier und Tag verabreicht, die täglichen Harnstoffgaben erreichten teilweise über 500 g. Die Versuche liefen nach Eingewöhnung ohne Störungen. Die Kühe wurden tragend und kalbten normal ab. Die Testreihen wurden teilweise über mehrere Laktationen geführt. Die Milchleistung lag bei 2760 kg Milch in 305 Tagen. Die Inhaltsstoffe der Milch, einschl. Vitamine, wurden nicht beeinflusst und die Zusammensetzung des Milcheiweißes zeigte normale Werte.

Im Jahre 1966 veröffentlichte Virtanen eine zusammenfassende Arbeit mit dem Titel „Milk Production of Cows on protein-free feed: Studies of the use of urea and ammoium salts as the sole nitrogen source open new important perspectives“ (Science 1966, Vol.153, S.1603 -1614). Hier kommt er zu der Aussage, dass die Kuh bei halbgereinigten Rationen in der Lage ist, 4000 kg Milch pro Jahr ohne natürliches Eiweiß zu erzeugen. Bei einem Anteil von 20 – 30 % Reineiweiß (vom verdaulichen Rohprotein) können es > 5000 kg sein. Damit hat er die enorme Leistung der mikriobiellen Proteinsynthese im Pansen der Milchkuh noch einmal deutlich charakterisiert.

Unter Berücksichtigung der quantitativen Grenze der Bakterienproteinsynthese ist bei ausreichender Energieversorgung und bei funktionierendem Pansen (Strukturwirksamkeit) und Zufuhr der essentiellen Mineralstoffe und Vitamine eine Milchproduktion ohne Reineiweiß möglich.

Die Verwertung von NPN (non-protein-nitrogen) – Verbindungen im Stoffwechsel von Wiederkäuern wurde mit diesen Arbeiten eindeutig geklärt und gehört heute zum Grundwissen der Tierernährung. Virtanen konnte den Weg der einfachen Stickstoffverbindungen verfolgen, die unter Mitwirkung bestimmter Mikroorganismen im Pansen zunächst Bakterieneiweiß aufbauen. Dieses Bakterieneiweiß wird dann im Verlauf der Verdauungsprozesse verdaut, die Aminosäuren werden resorbiert und stehen im Intermediärstoffwechsel für Erhaltung und Synthese zur Verfügung (Ann. Acad.Sci. Fennicae,1968, A/II 141, S.2-20).

In kurzer Zeit wurden die wissenschaftlichen Ergebnisse weltweit aufgegriffen. U.a. wurden die „Amidschnitzel“ produziert, die z.B. aus 15 % Harnstoff, 25 % Melasse und 60 % Trockenschnitzel bestanden und gemeinsam im Verhältnis 40 : 60 mit Expeller oder Kuchen vermischt als „Amidfutter“  (mit 6 % Harnstoff) in großen Umfang in die landwirtschaftliche Praxis gingen (Nehring, 1972).

In Anbetracht der gegenwärtigen Lage haben diese Grundlagenuntersuchungen nichts an Aktualität verloren. Der gegenwärtige Futtermittelmarkt spiegelt bei den rohproteinreichen Konzentraten den Stand dieser Erkenntnisse nur unvollständig wider.

Harnstoff wird aus dem Stickstoff der Luft hergestellt und beansprucht keine Bodenfläche zu seiner Produktion. Wir verfügen heute über Kenntnisse, die Bakterienproteinsynthese zu steuern und die Möglichkeiten und Grenzen des NPN – Einsatzes genau abzuschätzen. Solche Entwicklungen, wie sie jetzt auf den Markt kommen, bei denen der Harnstoff in eine Fettmatrix gebracht und so ein langsamer Abbau im Pansen erreicht wird, verdienen unsere große Aufmerksamkeit.

Alle physiologischen Möglichkeiten des Einsatzes von Harnstoff voll auszuschöpfen sind in Anbetracht der Welternährungslage eine wichtige Aufgabe bei der Milch- und Rindfleischerzeugung.

 

Stand: November 2022

 

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