Futterharnstoff – wichtiges Futtermittel für Rinder
Als es den Chemikern Haber (1868 – 1949) und Bosch (1874 – 1940) Anfang des vorigen Jahrhunderts gelang, aus dem Stickstoff der Luft mit dem aus Erdgas hydriertem Wasserstoff Ammoniak zu synthetisieren, begann eine völlig neue Ära in der Bereitstellung von Stickstoffdünger für die Landwirtschaft. Unter hohem Druck (über 300 Bar), bei hoher Temperatur (450 °C) und einem Katalysator (Magnesit) wird Ammoniak gebildet:
3 H₂ + N₂ → 2 NH₃
Diese Entdeckung ist in ihrer Bedeutung für die Ernährungssicherheit der Weltbevölkerung gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Bereits 1915 wurden in Piesteritz bei Wittenberg die „Reichsstickstoffwerke“ errichtet, in denen zu dieser Zeit die weltweit größte Ammoniakmenge im großindustriellen Verfahren hergestellt wurde. Noch heute ist das Werk in Piesteritz eines der bedeutendsten Ammoniakproduzenten. z. Zt. beträgt die weltweite Produktion an Ammoniak 185 Mill. t (2021), in Deutschland werden 2,5 – 3,0 Mill. t produziert.
Ammoniak wird vorrangig zu Ammoniumdünger, später auch zu Harnstoff (siehe unten) verarbeitet. Damit wurde der seit etwa 1840 als Stickstoffdünger aus Südamerika, bes. aus Chile und Peru importierte „Guano“ völlig abgelöst. Guano ist der Kot von Seevögeln (Pinguine, Kormorane u.a.), der, vermischt mit Eierschalen, meterhoch an den Küsten abgelagert war und als Dünger abgebaut, aufbereitet und in großen Mengen nach Europa exportiert wurde.
Mit der Entwicklung des großtechnischen Verfahrens nach Bosch und Meiser (1920) gelang es der BASF 1922 aus Ammoniak Harnstoff (engl. Urea) zu synthetisieren. In einem Hochdruckreaktor wird bei 150 bar aus Ammoniak und CO₂ zunächst Ammoniumkarbamat hergestellt: 2 NH₃ + CO2 = H₂NCOONH₄, das bei ca. 200 Grad und 200 Bar in einer energieaufwendigen Reaktion zu Harnstoff und Wasser wird: CH₄N₂O + H₂O.
Das bei der Ammoniakproduktion für die Wasserstoffherstellung abgetrennte CO2 wird zu einem erheblichen Teil wieder bei der Harnstoffherstellung genutzt.
Für die Produktion von 1 t Harnstoff werden 0,58 t NH₃ + 0,76 t CO₂ , 85 – 160 kWh und 0,9 – 2,3 t Dampf verbraucht.
Harnstoff, das Diamid der Kohlensäure, ist eine natürliche, in Pflanzen, Tieren und beim Menschen vorkommende Verbindung, die in der Natur weitverbreitet ist und eine besondere Geschichte hat.
Harnstoff wurde lange Jahrhunderte als vis vitalis (Lebenskraft) angesehen, weil er sowohl in Pflanzen und auch in Tieren natürlich vorkam. Seine synthetische Herstellung aus anorganischen Verbindungen gelang Wöhler 1828. Das erstemal wurde aus einer anorganischen Verbindung (Ammoniumcyanat) außerhalb einer lebenden Zelle eine organische Verbindung (Harnstoff) hergestellt. Damit endete die historische Periode der vis vitalis, was noch Jahrzehnte Dispute zwischen Naturwissenschaftlern, Philosophen und Theologen zur Folge hatte.
Nachgewiesen wurde Harnstoff in einer Vielzahl von Arbeiten im Harn der Säugetiere und des Menschen. Die Bildung von Harnstoff in der Leber als Abbauprodukt des Ammoniaks wurde von Krebs (1909 – 1981) entdeckt. Danach werden beim ausgewachsenen Menschen täglich 30 – 40 g Harnstoff gebildet und über den Harn ausgeschieden. Bei Säugetieren und beim Menschen ist die Bildung von Harnstoff in der Leber und die Ausscheidung über den Harn (Niere) eine Entgiftung von überschüssigem Eiweiß im Intermediärstoffwechsel.
Als Nebenprodukt bei der Harnstoffsynthese kann Biuret auftreten, das zum Nachweis von Peptiden benutzt wird, aber im verarbeiteten Harnstoff < 1 % betragen muss.
Harnstoff wird in verschiedenen Formen vorwiegend als Dünger für die Landwirtschaft produziert. Auch in verschiedenen Industriezweigen (z. B. in der Kosmetikbranche und für die Sprengstoffherstellung) wird Harnstoff verwendet.
Der größte Ammoniak- und Harnstoffproduzent in Deutschland sind nach wie vor die SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH, vormals in der DDR VEB Stickstoffwerke Piesteritz.
Eine besondere Anwendung findet Harnstoff als Futtermittel für Wiederkäuer.
Wiederkäuer können mit Hilfe der Mikroflora in den Vormägen zwei ganz wesentliche Leistungen vollbringen, die für die Ernährung der Menschheit von größter Bedeutung sind:
- Sie wandeln mittels Bakterienenzymen die Zellulose der Pflanzen in verwertbare Kohlenhydrate um, die Grundlage für die Energieversorgung, sowie für die Fett- und Eiweißsynthese (Milch, Fleisch) sind. Für alle Tiere mit einhöhligem Magen (Monogastrier) und für den Menschen ist die Zellulose unverdaulich.
- Sie können aus nichtproteinartigen Stickstoffverbindungen (NPN – Verbindungen, wie z. B Harnstoff) im Pansen zunächst Bakterieneiweiß bilden, das dann als hochwertiges Protein die Aminosäureversorgung der Rinder gewährleistet.
Die zuletzt genannte physiologische Leistung der Wiederkäuer soll im folgenden Gegenstand zu Fütterungshinweisen bei Milchkühen sein. Zur besseren Verständlichkeit soll bemerkt werden:
Protein = Eiweiß = Reineiweiß, besteht aus Aminosäuren, die durch die Peptidbindung -CO-NH- miteinander verknüpft sind, alle anderen stickstoffhaltigen Verbindungen werden als NPN (= Nicht-Protein-Stickstoff) bezeichnet, dazu gehören freie Aminosäuren, Amine, stickstoffhaltige Säuren und Basen, sowie Harnstoff.
Beide Fraktionen (Protein + NPN) werden als Rohprotein zusammengefasst, das im Mittel einen Stickstoffgehalt von 16 % hat, deshalb wird der analytisch bestimmte Stickstoffgehalt mit 6,25 multipliziert, um den Rohproteingehalt zu ermitteln (Wolf und Stohmann, 1860 in Weende bei Göttingen).
Das gefütterte Rohprotein wird zu 70 – 90 % durch die Bakterienenzyme im Pansen zu Ammoniak abgebaut und mit verfügbarer Energie zu hochwertigem Bakterieneiweiß synthetisiert (Merkhilfe: Bakterien gehören zu den Pflanzen).
Die Abbildung 1 zeigen die wesentlichen Zusammenhänge des Stickstoffstoffwechsels bei den Wiederkäuern.
Abb. 1: Stickstoffumsatz beim Wiederkäuer
Der gefütterte Harnstoff wird durch das Enzym Urease der Pansenbakterien zu Ammoniak abgebaut (CH₄N₂O → 2 NH₃ + CO₂). Ammoniak wird hydriert und es bildet sich Ammonium (NH₄⁺), das in Verbindung mit Kohlenhydraten Ausgangssubstanz für die Bakterienproteinsynthese ist. Überschüssiges Ammoniak wird in der Leber wieder zu Harnstoff synthetisiert und über die Niere im Harn ausgeschieden. Bemerkenswert ist, dass bis 25 % des in der Leber gebildeten Harnstoffs wieder in den Pansen gelangt, also rezykliert wird, um dort wie beschrieben, wieder der Bakterienproteinsynthese zu dienen (rumenohepatischer Kreislauf).
Die Umwandlung von einfachen Stickstoffverbindungen, wie z. B. Harnstoff in Milchprotein, hat der finnische Nobelpreisträger A. I. Virtanen in überzeugenden Arbeiten (1963,1967) nachgewiesen. Er verabreichte an Milchkühe halbsynthetische Rationen (Tabelle 1), die als Proteinquelle nur NPN-Verbindungen enthielten. Die Kapazität der Bakterienproteinsynthese reichte aus, um die Milchkuh gesund zu erhalten, ein gesundes Kalb und ca. 4.000 l Milch im Jahr zu bilden (Tabelle 2).
Tab. 1: Halbsynthetische Rationen für Milchkühe
Energiequellen: |
|
|
|
Pflanzliche Öle |
Strukturstoff: |
|
Mengen- und Spurenelemente |
Vitamine |
Stickstoffquellen: |
|
|
Quelle: A.I. Virtanen, Biochem. Ztschr. 1963, 338, S. 443
Tab. 2: Proteinfreie Rationen bei Milchkühen
| konventionelle Ration | halbsynthetische Ration |
im Mittel | 3800 | 2760 |
Leistungsvermögen | ||
niedrig | 3000 | 2580 |
hoch | 5000 | 4217 |
Versuche mind. 1 Jahr, einschl. Abkalbung, 305 Tagesleistung, Milch energiekorrigiert kg/Jahr, Milchprotein im Mittel 3,8 %, Milchzusammensetzung keine Unterschiede
Quelle: A.I. Virtanen (1963): Studies of the use urea und ammonium salts as the sole nitrogen source open new important persectives, Science 1966, Vol.153, S. 1603 – 1614
Seit Jahrzehnten werden die Erkenntnisse zum Pansenstoffwechsel der Wiederkäuer in der Fütterungspraxis genutzt und Futterharnstoff ist in vielen Ländern, auch bei einem hohen Leistungsniveau, fester Bestandteil der Milchkuhrationen.
In Deutschland hatten bereits ab 1930 die Amidschnitzel eine weite Verbreitung (Nehring 1949, 1973). Sie bestanden aus 15 % Futterharnstoff, 25 % Melasse und 60 % Trockenschnitzel und wurden mit Anteilen von 40 % Amidschnitzel + 60 % andere Eiweißfuttermittel als „Amidfutter“ auf den Markt gebracht. In verschiedenen Ländern Westeuropas wurde in der Folgezeit durch den massiven Import von Sojabohnen bzw. Sojaextraktionsschrot der Einsatz von Harnstoff zeitweise zurückgedrängt.
Wir verfügen über alle notwendigen Erkenntnisse und Erfahrungen, um Futterharnstoff effektiv einzusetzen. Die wichtigsten Grundsätze sind nachfolgend zusammengefasst.
Grundsätze des Harnstoffeinsatzes bei Milchkühen
- Futterwert: 100 g Harnstoff enthalten 46 g Stickstoff = 287,5 g Rohprotein, bei 70 %
Verwertung = 200 g Rohprotein (≈ 2,4 kg Milch)
100 % Abbau im Pansen, kein Durchflussprotein, keine Energie!
- Einsatzgrenzen: bis 20 g Harnstoff je 100 kg Körpermasse (Rinder ab 200 kg KM mit funtionierendem Pansen), höchstens 30 % des Gesamt-Stickstoffs der Ration als Harnstoff - Stickstoff (GrüneBroschüre (FZ), 2024, S. 356), ~ 8,8 g Futterharnstoff je kg Alleinfutter (80 % TS) = 10 g/kg TS
- Futtermittelrecht: Entsprechend dem HACCP - Konzept Protokoll zum Einsatz und Registrierung nach EG-Verordnung 183/2005, Protokollblatt zum Einsatz von Harnstoff
- Nur als "Futterharnstoff" deklarierten Harnstoff verfüttern.
- Rationsberechnung
Bedarf an Energie für beabsichtigte Milchleistung gedeckt
Gehalt an Stärke + Zucker > 180 g / kg TS
Rohproteinbedarf nicht gedeckt (Rohprotein/Tier und Tag, Proteinlöslichkeit)
- Verabreichungsformen
direkt in den Mischwagen (oder auf Futterband)
evt. Vormischung mit Getreide
zu Silomais über den Häcksler (3 - 5 kg Harnstoffe t Silomais), fungizide Wirkung, Erhöhung des Rohproteingehaltes um 30 % (von 85 auf 115 g RP / kg TS)
- Zur Anpassung an die spezielle Zusammensetzung der Mikrofauna im Pansen, kann es vorteilhaft sein, zu Beginn der Harnstofffütterung für 10 - 14 Tage nur die Hälfte der vorgesehenen Menge zu füttern
- Rohproteinäquivalent: 1,25 kg Rapsextraktionsschrot oder 1,00 kg Sojaextraktionsschrot entsprechen ≈ 0,225 kg Harnstoff
- Eigenschaften von Futterharnstoff: kristalliner Feststoff, bitterer Geschmack, geruchlos, leicht in Wasser löslich, hygroskopisch (trocken lagern), Futterharnstoff überwiegend in pillierter Form
- Preis: ca. 500 €/t (2024), ~0,17 €/kg Rohprotein
Über 95 % des Harnstoffs werden in 2-4 Stunden im Pansen abgebaut und durch Bakterienenzyme über Ammoniak zu Protein aufgebaut. Voraussetzung dafür sind optimale Fermentationsvorgänge im gut funktionierenden Pansen und ausreichend schnell verfügbare Energie (Stärke und Zucker).
Effektiv ist der Einsatz in Rationen, in denen der Energiebedarf erfüllt ist, aber Rohprotein fehlt. Unter strenger Beachtung der Einhaltung der zulässigen Höchstgrenze wird die notwendige Menge in der Ration durch die Rationsberechnung entschieden.
Dabei sind streng die für die jeweilige Leistung gültigen Bedarfsnormen (je Tier und Tag) an Rohprotein und darmverfügbaren Aminosäuren (GfE, 2023) einzuhalten.
Von großer Bedeutung ist die homogene Verteilung des Harnstoffs in der Ration. Mit der Einführung der Gesamtmischration mit stationären Dosierern und Futterbändern ab 1972 in der DDR und später die in vielen Ländern verbreitete Anwendung von Gesamtmischrationen (auch als Total Mixed Ration =TMR bezeichnet) mit selbstfahrenden oder traktorgezogenen Futtermischwagen sind optimale Voraussetzungen für die ausreichend homogene Verteilung des Harnstoffes gegeben. Auf die in verschiedenen Ländern verbreitete Möglichkeit, Harnstoff über einen Dosierer auf dem Häcksler zu verteilen, soll hingewiesen werden. Über umfangreiche Erfahrungen mit diesem Verfahren berichten Hoffmann und Fix (1963) zum „Einsatz harnstoffhaltiger Maissilagen in der Milchviehfütterung der nördlichen Bezirke der DDR“.
Die Empfehlung von 20 g Harnstoff/100 kg Körpermasse je Tag (bei 650 kg Körpermasse sind das 130 g Harnstoff je Tier und Tag) schließt einen großen Sicherheitsbereich ein. Die empfohlene Höchstmenge von 20 g/100 kg Körpermasse gilt auch für Mutterkühe, Mastbullen und Jungrinder ab 200 kg KM und auch für ausgewachsene Schafe. Für Milchziegen werden 17 g/100 kg KM empfohlen (Hoffmann und Steinhöfel, 2023). Literaturangaben für Rinder weisen als mögliche Grenzen 0,3 g NPN-Verbindungen je kg Körpermasse bzw. 20 % des Rohproteinbedarfes aus, liegen also höher als die o. g. Empfehlung. Eindeutig ist, dass 50 g Harnstoff/100 kg Körpermasse zum Tod der Tiere führen können.
Eine Gefahr beim Harnstoffeinsatz liegt in der Möglichkeit, dass im Pansen durch einen Rohproteinüberschuss das energieabhängige Bakterienproteinsynthesevermögen überschritten wird und ein Ammoniaküberschuss im Pansen entsteht. Der optimale Gehalt an Ammoniak im Pansen liegt zwischen 5 und 15 mmol/Liter. Die Folgen einer Überschreitung sind Senkung der Futteraufnahme, Pansenfermentationsstörungen, Zunahme entzündlicher Prozesse, ein erhöhter Harnstoffgehalt in der Milch und starke Belastungen für Niere und Leber. Auch schlechtere Verarbeitungseigenschaften der Milch wurden festgestellt. Bei höheren Ammoniakgehalten ist mit der Bildung biogener Amine zu rechnen, mit den bekannten vasoaktiven Wirkungen (Gefäßkrisen) an Euterzitzen, Gebärmutter und Klauen (Klauenrehe), Schädigungen innerer und äußerer Epithelien (Darm und Genitalorgane), Beeinträchtigung der Ovulations- und Trächtigkeitsrate sowie eine drastische Immunsupression und Senkung der Futteraufnahme.
Das unterstreicht noch einmal die Forderung, dass eine exakte aktuelle Rationsberechnung mit Kenntnis des Futterwertes der Komponenten selbstverständliche Voraussetzung für einen effektiven Harnstoffeinsatz ist.
Bei Unzulänglichkeiten der Verteilung von Harnstoff in der Ration kam es zu gesundheitlichen Störungen. Es ist unzulässig, Harnstoff einfach auf Futtertisch oder -krippe „drüber zu streuen“, weil dann unkontrolliert Ammoniak entstehen kann. Dramatisch wird es, wenn Harnstoff, unerhitzte (nicht „getoastete“) Sojaprodukte und Wasser im Futtertrog zusammentreffen. Sojabohnen enthalten das harnstoffspaltende Enzym Urease (in der Futtermitteluntersuchung dient die Bestimmung der nicht hitzebeständigen Urease zur Kontrolle eines ausreichenden Erhitzungsgrades nach der Extraktion des Fettes). Es setzt eine plötzliche massive Freisetzung von Ammoniak ein, der zu erheblichen gesundheitlichen Schäden, teilweise sogar zum Tod der Tiere führte, Oft hilft dann auch nicht mehr das literweise Verabreichen von Essig.
Diese Vorkommnisse, die durch Unkenntnis oder Nichtbeachtung der Anwendungs-grundsätze (Tabelle 3) in früheren Zeiten auftraten, waren in bestimmten Kreisen, am wenigsten bei Landwirten, der Anlass, den Harnstoff als „Gift“ zu bezeichnen. Damit wurde ein wichtiger Beitrag zur Ernährungssicherheit und Nachhaltigkeit blockiert. Es ist auch durchaus überlegenswert, das Harnstoffverbot für BIO-Betriebe zu überdenken.
Die besondere Eigenschaft von Harnstoff ist der schnelle Abbau im Pansen und die damit in der Zeiteinheit hohe Befrachtung mit Ammoniak. Es hat daher nicht an Versuchen gefehlt, den Harnstoff in einer Form zu verabreichen, in der die Ammoniakfreisetzung über einen längeren Zeitraum erfolgt.
Eine kreative Lösung für den effektiven Harnstoffeinsatz ist der Fa. Alltech (2012) mit dem Produkt „Optigen“ gelungen, indem der Harnstoff in eine porige Fettmatrix eingebracht (nicht umhüllt) wurde. Damit wird erreicht, dass der Harnstoff im Pansen langsamer abgebaut wird, in 8 Stunden ca. 80 %. Somit werden für Verträglichkeit und Verwertung günstigere Bedingungen geschaffen. Das Produkt enthält in 100 g 41 g N (=256,3 g Rohprotein) und 11,4 g Rohfett (pflanzliche Fette und Öle), sowie im kg 880 g Harnstoff und 0,023 g Butylhydroytoluol (BHT) als Antioxidans. Die wichtigsten Angaben für den Einsatz des Optigen zeigt die Tabelle 3.
Praktische Erfahrungen haben die Nützlichkeit dieses Produktes bewiesen, wenn auch die Kosten die breite Anwendung eingeschränkt haben. In jedem Fall ist Optigen ein „Pionierprodukt“, weil auf diesem Weg die immensen Vorteile einer Harnstoffverwendung in größerem Umfang und risikoärmer möglich sind.
Auf dieser Grundlage hat die Fa. Hamburger Leistungsfutter GmbH das Produkt ADDIFERM ® N auf den Markt gebracht. Es enthält gecoateter slow-release Harnstoff“, der Fettmantelung ist Dextrose zugesetzt, so dass der Harnstoff für die Bakterienenzyme schneller zugänglich ist. Es werden für laktierende Milchkühe bis 240 g, für trockenstehende Kühe bis 160 g und für Mastbullen bis 140 g ADDIFERM je Tier und Tag empfohlen.
Tab 3: Einsatz von Optigen
langsam im Pansen verfügbarer Harnstoff (porige Fettmatrix) |
>100 g/Tier u. Tag (abhängig von Rationsberechnung) |
je kg: 410 g Stickstoff x 6,25 = 2.563 g Rohprotein (80 % Verwertung), ~ 2050 g Rohprotein, 120 g Rohfett, kein Durchflussprotein |
Abbau im Pansen |
100 g Optigen enthält 205 g Rohprotein (+ 3,3 MJ NEL) |
Empfehlung:
|
Inzwischen sind eine Reihe von Produkten auf dem Markt, die durch Umhüllung bzw. Ummantelung des Harnstoffes ebenfalls einen langsameren Abbau des Harnstoffes erreichen wollen. In einem Versuch (Pries u.a., 2014) zeigte sich, dass ein großer Teil des Harnstoffes im Kot erscheint und die Verwertung des Harnstoffs ca. 25 % betrug. In einer Untersuchungsreihe zur Freisetzung des Harnstoffes mittels einer spezifischen Methode wurden folgende Freisetzungsraten von Harnstoff ermittelt (mg Harnstoff/dl in 3 h):
Futterharnstoff | 5000 |
Mittel von 5 Produkten | 2890 (2409 – 3442) |
Optigen | 300 - 900 |
Wie bereits ausgeführt, kommen für den Einsatz von Harnstoff vor allem alle Rationen infrage, die ausreichend Energie, aber ein Rohproteindefizit enthalten.
Damit sind alle maissilagebetonten Rationen für den Einsatz von Futterharnstoff prädisponiert (Tabelle 4), sowie Rationen mit hohem Pressschnitzeleinsatz (Tabelle 5).
Tab. 4: Futterharnstoff bei unterschiedlichem Maissilageanteil in Rationen für Milchkühe *
Maissilage | Trockensubstanz | % | > 28 | < 32 | < 36 | < 40 |
| Rohfaser | TS | 240 | 200 | 180 | 160 |
| Stärke | TS | 240 | 300 | 350 | 420 |
Ration | Maissilage ** | kg | 30,0 | 25,0 | 18,0 | 10,0 |
| Grassilage *** | kg | 8,0 | 12,0 | 18,0 | 24,0 |
| Getreide | kg | 4,0 | 4,0 | 4,0 | 4,0 |
| Trockenschnitzel | kg | 2,0 | 1,5 | 1,5 | 2,0 |
| Rapsextraktionsschrot | kg | 3,0 | 2,6 | 2,5 | 2,1 |
| Futterharnstoff | g | 130 | 120 | 100 | 80 |
| vitamin. Mineralfutter | g | 220 | 220 | 200 | 200 |
kg Trockensubstanz |
| 20,3 | 20,8 | 20,4 | 20,7 | |
davon Grobfutter % |
| 64 | 66 | 65 | 63 | |
g stw. Rohfaser / 100 kg KM |
|
| 418 | 408 | 422 | 422 |
g Stärke / kg TS |
| 246 | 254 | 254 | 258 | |
g Rohprotein / kg TS |
| 156 | 158 | 156 | 160 | |
UDP % d. RP |
| 28 | 31 | 29 | 28 | |
Proteinlöslichkeit % d. RP | 41 | 38 | 34 | 39 |
* 650 kg KM, 30 kg Milch (4,0 % Fett, 3,4 % Eiweiß), ** 6,2 / 6,4 / 6,6 / 6,8 MJ NEL je kg TS, *** 350 g TS/kg, je kg TS: 6,0 MJ NEL, 50 g Zucker, 250 g Rohfaser
Wenn es finanzielle Vorteile bringt und alle spezifischen Anforderungen für den Harnstoffeinsatz eingehalten werden können, ist auch ein teilweiser Ersatz von anderen Eiweißfuttermitteln durch Harnstoff möglich.
Auch in Rationen für trockenstehende Kühe kann Harnstoff eingesetzt werden, wenn die o. g. Bedingungen erfüllt sind. Bei Anwendung des Rationstypes „15 kg Maissilage + 4 kg kurzgehäckseltes Stroh“ z. B. in der einphasigen Trockensteherfütterung, kann Harnstoff sehr zweckmäßig sein.
Umfangreiche Erfahrungen liegen auch zum Einsatz von harnstoffhaltigen Stroh-Konzentrat-Gemischen sowohl als Ergänzungsfutter für Milchkühe (Tabelle 6) als auch als Alleinfutter für Mastbullen (Tabelle 7) vor (siehe auch dlz -agrarheute Rind 2021, Heft 10 und 11).
Tab. 5: Futterharnstoff in Rationen mit Pressschnitzel für Milchkühe *
Maissilage | kg | 26,0 | 26,0 | 24,0 | 24,0 | 22,0 |
Grassilage | kg | 12,0 | 12,0 | 12,0 | 12,0 | 12,0 |
Pressschnitzel | kg | 0,0 | 5,0 | 10,0 | 15,0 | 20,0 |
Stroh, kurz geh. | kg | 0,5 | 0,5 | 0,5 | 0,5 | 0,5 |
Getreidemischung | kg | 5,0 | 4,0 | 4,0 | 4,0 | 3,0 |
Rapsextr.schrot | kg | 1,5 | 1,5 | 1,5 | 1,5 | 1,5 |
Rapsextr.schrot, behandelt | kg | 1,0 | 1,0 | 1,0 | 0,5 | 0,5 |
Futterharnstoff | g | 100 | 100 | 120 | 120 | 130 |
vit. Mineralfutter | g | 200 | 200 | 200 | 200 | 200 |
|
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|
|
|
kg Trockensubstanz |
| 20,3 | 20,5 | 21,0 | 21,1 | 22,1 |
davon Grobfutter % | 64 | 63 | 59 | 56 | 55 | |
g stw. Rohfaser / 100 kg KM | 421 | 429 | 418 | 426 | 443 | |
g Stärke / kg TS |
| 228 | 212 | 206 | 178 | 163 |
g Rohprotein / kg TS |
| 155 | 153 | 153 | 150 | 148 |
UDP % d, RP |
| 29 | 320 | 30 | 31 | 30 |
Proteinlöslichkeit % d RP | 40 | 39 | 38 | 37 | 35 |
* 650 kg KM, 30-32 kg Milch (4,0 % Fett, 3,4 % Eiweiß)
Tab. 6: Stroh - Konzentrat - Gemische (SKG) für Milchkühe
|
| SKG 1 | SKG 2 | SKG 3 | SKG 4 |
Rezeptur g / kg Futtermittel |
| stärkereich | proteinreich | Weidebeifutter | |
Stroh, gehäckselt * | 200 | 400 | 400 | 600 | |
Getreidemischung | 350 | 355 | 115 | 165 | |
Trockenschnitzel, melassiert | 100 | 100 | 0 | 0 | |
Melasse (Zuckerrüben) | 0 | 0 | 100 | 100 | |
Rapsextraktionsschrot | 315 | 105 | 345 | 100 | |
Futterharnstoff | 15 | 15 | 15 | 0 | |
vitaminiertes Mineralfutter | 20 | 25 | 25 | 35 | |
Inhaltsstoffe je kg TS |
|
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| |
NEL | MJ | 6,6 | 6 | 5,6 | 5,1 |
UE | MJ | 10,8 | 9,8 | 9,3 | 8,6 |
Rohprotein | g | 245 | 155 | 250 | 100 |
nutzbares RP | g | 170 | 137 | 158 | 116 |
UDP | % d. RP | 16 | 18 | 24 | 27 |
Proteinlöslichkeit | % d. RP | 51 | 52 | 53 | 35 |
Stärke + Zucker | g | 283 | 265 | 166 | 160 |
dav. Zucker | g | 62 | 50 | 91 | 75 |
Rohfaser | g | 156 | 216 | 228 | 288 |
amNDFom | g | 336 | 415 | 426 | 506 |
ADFom | g | 169 | 255 | 281 | 333 |
Zellulose + Hemizellulose | g | 280 | 265 | 353 | 434 |
Kalzium | g | 8,3 | 9 | 10,5 | 4,7 |
Phosphor | g | 4,2 | 3,9 | 2,5 | 2,9 |
* theoretische Häcksellänge 2 - 3 cm
Tab. 7: Stroh-Konzentrat-Gemische in der Bullenmast (Fleckvieh)
Körpermasse | 250 | 450 | |||
Zunahme g/Tag | 1300 | 1400 | |||
Rezeptur g/kg |
|
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|
| |
Stroh |
| 220 | 235 | 325 | 287 |
Getreide |
| 450 | 355 | 488 | 385 |
melasierte Trockenschnitzel | 12 | 24 | 11 | 19 | |
Rapsextraktionsschrot | 300 | 355 | 162 | 287 | |
Futterharnstoff | 6 | 7 | 3 | 3 | |
vitaminiertes Mineralfutter | 12 | 24 | 11 | 19 | |
Ration kg Tier und Tag |
|
|
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Stroh-Konzentrat-Gemisch | 6,7 | 4,4 | 9,2 | 5,2 | |
Maissilage | 0 | 8 | 0 | 12 | |
Futteraufnahme kg TS / Tag | 6,0 | 6,2 | 8,1 | 8,4 | |
je kg TS der Ration |
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| |
Rohprotein |
| 172 | 157 | 146 | 142 |
Umsetzbare Energie | 11,3 | 10,9 | 10,8 | 10,8 | |
Rohfaser |
| 174 | 182 | 181 | 182 |
Fazit
In allen Rationen, in denen der Energiebedarf gedeckt wird, aber ein Rohproteindefizit herrscht, kann Harnstoff verwendet werden. Auch als teilweiser Ersatz von pflanzlichen Eiweißfuttermitteln kommt Harnstoff zum Einsatz, wenn er kostengünstiger ist.
Die bekannten Grundsätze und Anforderungen, sowie futtermittelrechtlichen Bestimmungen zum Harnstoffeinsatz sind korrekt einzuhalten.
Wichtige Bedingung für den Erfolg ist auch hier die Kenntnis der Futteraufnahme und eine gute Übereinstimmung zwischen gerechneter und verabreichter Ration.
Es wird gezeigt, dass über spezifische Verfahren, der sehr schnelle Abbau von Harnstoff im Pansen aufgehalten werden kann und somit bessere Bedingungen für Verträglichkeit und Verwertung geschaffen werden.
Stand: September 2024