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Der Fütterungsberater

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Rind

Gefahr für die Gesundheit der Rinder durch „Mutterkorn“


Berichte von Praktikern weisen darauf hin, dass in diesem Jahr beim Roggen verstärkt Mutterkornbesatz festzustellen ist. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir einen bearbeiteten und aktualisierten Beitrag zum Mutterkorn aus dem Jahre 2020.

 

„Mutterkorn“ ist der gebräuchliche Begriff für Secale cornutumden, des parasitär auf Pflanzen lebenden Pilzes Claviceps purpurea, der zur Gruppe der Schlauchpilze (Ascomyceten) gehört.

Die Infektion erfolgt im Fruchtknoten verschiedener Grammineen während der Blüte. Das Sklerotium besteht im Wesentlichen aus Pilzhyphenmasse und stellt die Überwinterungsform des Pilzes dar (Abb.1.), aus der nach der Winterpause Fruchtkörper mit Sporenschläuchen herauswachsen, die die Ascosporen freisetzen und so in die Infektionskette gelangen.


Abb.1: Mutterkorn neben nicht befallenen Roggenkörnern
(Quelle: Fördergemeinschaft Integrierter Pflanzenbau e.V. Heft 6 / 1990)


Befallen werden alle Gräser und Getreidearten, besonders Roggen und Triticale. Da auch Ungräser, z.B. Windhalm, Quecke und Trespearten befallen werden, können bei hohem Unkrautbesatz oder unbewirtschafteten Flächen in Abhängigkeit vom Zeitpunkt und der Windrichtung auch von diesen Flächen Getreidefelder mit Mutterkorn infiziert werden.

Von den Futtergräsern werden vor allem Weidelgräser, Wiesenrispe, Knaulgras und Ackerfuchsschwanz befallen, mit Ungräsern (z. B. am Feldrand) stellen sie bedeutende Infektionsquellen dar.

Der Befall mit Mutterkorn ist bereits im Getreidebestand ersichtlich (Abb. 2).

Abb. 2: Mutterkorn an Roggenähren
(Quelle: Fördergemeinschaft Intergrierter Pflanzenbau e.V. Heft 6 / 1990)


Die Befallsrate ist vom Witterungsverlauf (Feuchte und Temperatur im Frühsommer zur Zeit der Getreideblüte), von der Blühdauer (umso länger, um so nachteiliger), von Windrichtungen zu Infektionsquellen, von pflanzenbaulichen Maßnahmen (enge Fruchtfolge, keine Unkrautbekämpfung an Feldrändern, flachgründige Bodenbearbeitung) u. a. abhängig und schwankt von Jahr zu Jahr erheblich.

Durch Sortenwahl, Reinigungstechnologien und Saatgutbehandlungsmitteln kann positiv Einfluss auf die Verbreitung des Mutterkorns genommen werden.

Die wesentlichsten Alkaloide des Pilzes sind Ergocryptin, Ergotamin, Ergocristin, Ergometrin, Ergosin und Ergocorin, sie machen nahezu 70 % des Gesamtalkaloid-gehaltes aus. Es sind Amide der Lysergsäure (Lysergsäurediethylamid = LSD). Sie befinden sich in den Sklerotien des Pilzes.

Sie führen bei Menschen und allen Tierarten zu ernsthaften, lebensbedrohenden Erkrankungen, die als Ergotismus bezeichnet werden. Schon seit dem Mittelalter sind Mutterkornvergiftungen bei Menschen und Tieren bekannt. Sie treten in zwei Formen auf:

Ergotismus convulsivus, die „Krampfseuche“ oder „Kribbelkrankheit“, und als Ergotismus gangraenosus, die „Brandseuche“.

Besonders im Mittelalter und zu Zeiten von Hungersnöten führten die Vergiftungen durch die Mutterkornalkaloide aus dem verzehrten verseuchten Getreide zu verheerenden Epidemien („Antoniusfeuer“).Andererseits spielte Mutterkorn auch medizinhistorisch eine Rolle, indem man die wehentreibende und blutstillende Wirkung nutzte.

Die wichtigsten Ansatzstellen der Giftwirkung sind das Nerven- und das Blutgefäßsystem. Praktisch relevante Erscheinungen des Ergotismus bei Rindern werden im folgenden zusammengefasst (für andere Tierarten wird auf die einschlägige Literatur verwiesen):

  • Senkung der Futteraufnahme bis Futterverweigerung (der gesamten Ration)
  • Rückgang der Milchmenge, drastische Erhöhung der Zellzahl
  • gesteigerte Wasseraufnahme
  • gesteigerte Speichelsekretion
  • gesteigerte Atmungsfrequenz, erhöhte Körpertemperatur
  • zentralnervöse Störungen, Erregungs- und Krampfzustände, Agressionen, Inkordination, Opisthotonus (krampfartiges Rückwärtsbiegen des Kopfes) sowie auch Sedation (Dämpfung)
  • Laxieren und gastrointestinale Störungen
  • Durchblutungsstörungen
  • ausgeprägte Klauenrehe mit assozierten Klauenerkrankungen
  • Gangrän (Nekrosen) bis Mumifikation an den Extremitäten
  • Uteruskontraktionen (oxytozinähnliche Effekte), Stimulation der glatten Muskulatur
  • Gebärmutterzysten
  • Aborte, Totgeburten
  • Verendungen

 

x-Achse: Monat (Oktober 2010 bis Oktober 2011), y-Achse: Anteil Klauenerkrankungen (%)

Abb.3: Prozentualer Anteil Klauenerkrankungen in einem Bestand mit Mutterkornvergiftung im Jahre 2010 (im November 2-3 kg Roggen mit > 1000 mg Mutterkorn / kg Körner in einer Mischration ca.2 Wochen verfüttert, Pfeil: Beginn der Verfütterung)


In Betrieben mit Mutterkornvergiftung (vorwiegend mit kontaminiertem Roggen, in einem Fall wurde mutterkornhaltige Triticale verfüttert) traten nahezu alle oben genannten Symptome auf, die Stärke der Wirkung zeigt große individuelle Schwankungen. Tierverendungen traten bei längerer Fütterung mutterkornhaltigen Getreides in den ersten 4-5 Wochen nach Beginn des Einsatzes des suspekten Materials bei etwa 4- 5 % des Bestandes auf.

Beim Überleben dauert die Anpassung an die Ausgangssituation (Gesundung) mindestens 4 - 5 Monate nach der Vergiftung, bei den Klauenschädigungen weitaus länger (siehe Abb. 3), bei einzelnen Tieren tritt keine Gesundung ein, die Verendungen liegen bei 4 – 5 %.


Als Höchstgehalt ist futtermittelrechtlich festgelegt: 1000 mg Mutterkorn/kg Getreidekörner mit 88 % TS (Das geltende Futtermittelrecht, Grüne Broschüre TE, 2024).

Aufgrund entsprechender EU – Verordnungen galt für Konsumgetreide seit 2015 ein Höchstgehalt von 500 mg Mutterkorn-Sklerotien/kg unverarbeitetes Getreide. Dieser Höchstgehalt wurde für Konsumroggen ab 01.07.2024 auf 200 mg Mutterkorn-Sklerotien abgesenkt. Für Futtergetreide ist noch keine Anpassung erfolgt, sie ist aber zu erwarten.


Mit Siebung und optischer Bewertung wird der Mutterkornanteil bestimmt. Eine Bestimmung in zerkleinertem Getreide (Schrot) ist praktisch nicht möglich.


Die Alkaloide des Mutterkorns können mittels Dünnschichtchromatographie semiquantitativ und mit dem HPLC-Verfahren quantitativ nachgewiesen werden. Für die Summe der 12 Hauptformen der Ergoalkaloide im Mutterkorn galten entsprechend der EU-Verordnung ab 2021 Höchstgehalte für Roggenkörner und -mehle von 500 μg/kg, die ab 01.07.2024 auf 250 μg/kg abgesenkt wurden.

Für Futtergetreide liegen z.Zt. keine gesicherten Grenz- bzw. Orientierungswerte vor. Es ist aber auf diesem Weg eine Kontamination nachzuweisen und bei Erfahrung kann auch aus der Höhe des Alkaloidgehaltes der Grad einer Belastung für die Tiere eingeschätzt werden.


Mit geeigneten Reinigungsanlagen, z.B. Windsichten, Sieben und Ausblasen kann der Besatz mit größere Slerotienteilen vermindert werden.

Alle Versuche und Erfahrungen mit Hilfe von Konservierungs- oder Silierungsverfahren z.B. mit erhöhten Zusätzen von Propionsäure oder Sorbinsäure die negativen Auswirkungen der Alkaloide zu vermindern haben zu keinem Erfolg geführt. Eine Einschränkung der Wirksamkeit der Alkaloide durch extrem hohe Temperaturen (> 200° C) zu erreichen ist nicht praxisrelevant.


Da ein Verschneiden kontaminierter Partien mit „gesundem“ Getreide futtermittelrechtlich streng verboten ist, kann belastetes Getreide nur „energetisch“ entsorgt werden.

Ein Übergang der mit dem Futter aufgenommenen Alkaloide des Mutterkorns über Fleisch und Milch in Lebensmittel konnte bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden.


Quellen:

  • Bundesinstitut für Risikobewertung(BfR): Bewertung gesundheitlicher Risiken durch Ergotalkaloide in ausgewählten Getreideprodukten, Stellungnahme 041/2023
  • Fördergemeinschaft integrierter Pflanzenbau e.V. „Natürliche Gifte im Getreide“ 1990; Heft 6,
  • Hoffmann, M., Beratungs- und Betriebsunterlagen zu Mutterkornvergiftungen in Milchviehbetrieben, LKV Sachsen 2010/2011
  • Kamphues, J., Drochner, W: Feed contamination with ergot – a contribution to the detection of ergot related health problems, Tierärztliche Praxis 1991, 19, 1-7
  • Schumann, Barbara: Effects of ergot on health and performance of ruminants and carry over of the ergot alkaloids into edible tissue, Diss.vet.med., Hannover, 2007
  • Ulbrich,M., Hoffmann, M., Drochner, W.: Fütterung und Tiergesundheit, Stuttgart, 2004, 416 S.
  • Wyss, U., Vogel, R., Richter, W. und Wolf J.: Agrarforschung 1997, 4 (9), 373 – 376

 

Stand: August 2024

 

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